SATIPATTHᾹNA

VI. DIE BURMESISCHE SATIPATTHᾹNA-METHODE UND IHRE ÜBUNGSPRAXIS

Obwohl die Charakteristischen Züge der Satipatthāna-Methode so einfach und klar erscheinen, nachdem man sie einmal kennen gelernt hat, so waren doch die Vorstellungen von dem in der Lehrrede dargelegten Übungsweg für lange Zeit undeutlich geblieben. Soweit des Verfassers Kenntnis geht, war es erst zu Beginn dieses Jahrhunderts, daß ein burmesischer Mönch, U Narada, nur auf einen knappen Hinweis gestützt, sich die Eigenart des Übungsweges Rechter Achtsamkeit erarbeitete und anderen lehrte. Schon in jungen Jahren war er auf der Suche nach einer Meditationsmethode, die einen direkten Zugang zum Hohen Ziel der Buddha-Lehre bot. Auf seinen Wanderungen durch Burma fragte er danach bei solchen, von denen er Belehrung erhoffte, doch konnte er keine ihn befriedigende Unterweisung erhalten. Als er zu den Meditationshöhlen in den Sagaing-Bergen kam, wies man ihn zu einem Mönch, der im Rufe stand, jene hohen, zum Heiligkeitsziel führenden Pfade (ariya-magga) erreicht zu haben, die mit dem «Stromeintritt» (sotāpatti) beginnen. Von U Narada befragt, antwortete jener, warum denn der Frager außerhalb des Butdhawortes suche, das ja alles Nötige enthalte. Sei denn nicht darin der Einzige Weg, Satipatthāna, verkündet worden? Diesen Hinweis nahm Narada auf und studierte zunächst nochmals sorgfältig die Lehrrede und deren alten Kommentar, über Sinn und Anwendungsweise tief nachdenkend. Darauf und auf eigene ernste Übung gestützt, entwickelte er die Grundsätze und die Praxis jener Übung in Rechter Achtsamkeit, die in diesem Buche dargestellt ist. Hiermit begann eine neue Tradition in der Übung dieses alten, doch nie veraltenden Weges gründlicher Geistesschulung. Für diese hat sich die Bezeichnung «Burmesische Satipatthāna-Schule» eingebürgert, denn es war in Burma, daß dieser alte Übungsweg in seiner Eigenart wieder belebt, ernstlich geübt und weit verbreitet wurde.

Viele Schüler des Ehrw. U Narada verbreiteten durch Abhaltung von Meditationskursen die Kenntnis dieses neu entdeckten Übungsweges. Für die hier betonte Anwendbarkeit dieser Methode auch im weltlichen Leben ist es bezeichnend, daß zu des Ehrw. Naradas besten Schülers-Schülern ein burmesischer Laie, Maung Tin, gehörte, der seinerseits nicht nur Laien, sondert auch Mönche unterwies und auch in Klöster eingeladen wurde um Meditationskurse abzuhalten. An einem solchen Kurs nahmen auch zwei singhalesische Mönche teil, denen der Verfasser die erste Kunde von dieser Methode verdankt, soweit sie in der ersten Auflage dieses Buches dargestellt wurde. Die ausführlicheren Übungsanweisungen in der vorliegenden Auflage stützen sich auf Belehrungen und Erfahrungen während des Verfassers eigenen Aufenthaltes in Burma im Jahre 1952.

Der Ehrw. U Narada, in Burma weit bekannt als Jetavan- oder Mingun-Sayado, starb am 18. März 1957, im Alter von 87 Jahren. Viele sind davon überzeugt, daß er das Höchste Ziel der Heiligkeit (arahatta) erreicht hatte. Neben seinen meditativen Errungenschaften war er auch ein bedeutender Gelehrter. In der Pāli-Sprache verfasste er Kommentare zu den «Fragen des Milinda» und zum Petakopadesa, in burmesisch ein Handbuch der Klarblicksmeditation.

Seit den Tagen des Ehrw. Narada hat sich die Satipatthāna Methode mit Hilfe vieler befähigter Meditationslehrer in Burma weit verbreitet. Besonders bedeutend und erfolgreich unter diesen Lehrern ist der Ehrw. Mahasi Savado (U Sobhana Mahathera), der selber unter dem Ehrw. Narada meditiert hatte. Nach dem zweiten Weltkrieg, im Jahre 1949, wurde er vom damalige Ministerpräsidenten, U Nu, eingeladen, aus seinem Heimatkloster nach Rangun zu kommen und dort als Meditationslehrer zu wirken. In einem Außenbezirk Ranguns wurde ein Meditationszentrum gegründet, genannt «Thathana Yeiktha», wo bis zum heutigen Tage Kurse strikter Meditation für Mönche und Laien abgehalten werden. Dort allein haben, bis 1966, 15000 Personen an den strikten Kursen teilgenommen, und im gesamten Lande 200000. Diese letzte Ziffer schließt diejenigen ein, die in den über 100 Zweig-Meditationsstätten Burmas nach der gleichen Methode übten: selbst unter den einfachen Bergstämmen der Schanstaaten Nordburmas bestehen solche Stätten. Alle diese Meditationszentren (und viele andere mit unterschiedlichen Methoden) wurden von der damaligen burmesischen Regierung unter U Nu mit einer Subvention unterstützt, die auch von der gegenwärtigen Regierung des Landes fortgesetzt wird. Diese Förderung meditativen Lebens seitens einer Regierung war offenbar auch von der Überzeugung geleitet, daß Menschen, die durch solch ernste geistige Schulung gegangen sind, auch im Gemeinschaftsleben ein positiver Faktor sein werden.

Mönche und Laien, Männer und Frauen, jung, und alt, reich und arm, Hochgebildete und Gelehrte, sowie auch einfache Bauern haben sich dieser Geistesschulung mit tiefem Ernst und großer Begeisterung unterzogen. Und an guten inneren Ergebnissen hat es nicht gefehlt. Obwohl es in Burma auch viele und bedeutende Meditationsstätten anderer Methoden gibt, so haben doch an der gegenwärtigen, bemerkenswert starken Welle meditativen Lebens der Ehrw. Mahasi Sayado und seine Schüler den Hauptanteil. Durch ihre Bemühungen hat sich diese Methode auch in Ceylon und Thailand verbreitet, und eine englische Fassung des vorliegenden Buches hat die Kenntnis davon in viele andere Länder getragen.

Ebenso wie der Ehrw. Narada, so vereint auch der Ehrw. Mahasi meditative Reife mit einer umfassenden und tiefschürfenden Kenntnis des buddhistischen Lehrgutes und Schrifttums. Während des 6. buddhistischen Mönchskonzils (Chattha Sangāyanā), das 1954-1956 in Rangun stattfand, hatte daher der Ehrw. Mahasi das ehrenvolle Amt, vor jeder feierlichen Rezitationssitzung des Konzils die auf den betreffenden kanonischen Text bezüglichen Fragen zu stellen, wie es auf dem 1. Konzil nach dem Hinscheiden des Buddha der Ehrw. Arahat Mahā-Kassapa getan hatte. Die literarischen Arbeiten des Ehrw. Mahasi sind in burmesischer und Pāli-Sprache verfaßt. Von englischen Übersetzungen liegen vor: eine Einführung in die Satipatthāna-Praxis; zwei längere Aufsätze über das «Mahā-Satipatthāna-Sutta» und die 40 Meditationsobjekte («Buddhist Meditation and its Forty Subjects»); sowie eine hauptsächlich für fortgeschrittene Meditierende bestimmte Abhandlung, die vom Verfasser dieses Buches vom Pāli ins Englische übersetzt wurde.


 

A. ÜBUNGSANWEISUNGEN

Die folgende Darstellung beschreibt in Kürze die vom Ehrw. Mahasi Sayado im Meditationszentrum «Thathana Yeiktha» in Rangun benutzte Methode. Das gedruckte Wort kann freilich die persönliche Unterweisung durch einen erfahrenen Meditations meister nicht ersetzen, bei der allein die Veranlagung und der Übungsfortschritt des Meditierenden berücksichtigt werden können. Doch da im Westen erfahrene Lehrer dieser Methode selten sind, erschien es angebracht, hier einen kurzen Umriß und einige vorbereitende Ratschläge über Sitzweise usw. zu geben. Obwohl diese Anweisungen für Ganztagsübung während eines längeren strikten Kurses gelten, können sie auch an kürzere Übungszeiten im berufstätigen Leben angepaßt werden. Darüber mehr am Schluß dieses Kapitels.

Es ist ein Grundsatz der Satipatthāna-Methode, daß schon die ersten Schritte des Übenden auf dem festen Boden seiner eigenen persönlichen Erfahrung erfolgen sollen. Er soll die Dinge sehen wie sie wirklich sind, und er soll sie mit eigenen Augen sehen. Er soll unbeeinflußt bleiben durch vorwegnehmende Andeutungen oder irgendwelche Suggestionen hinsichtlich dessen, was ihm nur seine eigene Erfahrung zeigen soll. Um so stärker wird dann die sich aus dieser Erfahrung ergebende Gewißheit sein. Daher wer den in den erwähnten Kursen während der Übungsdauer keine theoretischen Erklärungen gegeben; lediglich am Schluß des Kurses werden vom Meditationsmeister die Erfahrungen der Übenden auf die entsprechenden Einzelheiten des Meditationssystems und des buddhistischen Lehrgutes bezogen. Während der Übung selber werden aber nur knappe praktische Anweisungen gegeben, was der Meditierende zu tun oder zu lassen hat. Wenn sich allmählich die Achtsamkeit schärft und der Meditierende bisher unbemerkte Einzelheiten seines Meditationsobjektes selbständig wahrnimmt, dann würde der Lehrer nicht bloß, wie gewöhnlich nach Abhören des täglichen Berichtes, sagen: «Übe weiter!», sondern auch kurz die Richtung weisen, in welche man die Aufmerksamkeit nun mit Vorteil lenken kann. Es ist einer der Nachteile einer schriftlichen Darlegung, daß selbst solche Hinweise nicht gegeben werden können, da sie von den Übungsergebnissen des Einzelnen abhängen. Doch bei genauer Befolgung der hier gegebenen Anweisungen und stetiger Übung werden die eigenen Erfahrungen des Meditierenden sein Lehrmeister werden und ihn sicher weiter führen.

Geistige Nüchternheit, Wachsamkeit und Selbsthilfe sind Kennzeichen dieser Geistesschulung. Ein guter Satipatthāna-Lehrer wird daher in seiner Beziehung zu den Meditierenden sehr zurückhaltend sein. Er wird es vermeiden, sie durch seine Persönlichkeit bewußt zu «beeindrucken» (sei es auch mit selbstloser Absicht) oder aus seinen Schülern «Anhänger» zu machen. Er wird nichts tun, was einem suggestiven oder gar hypnotischen Einfluß auf den Übenden auch nur im entferntesten gleich kommt. Er wird sich auch keiner Mittel bedienen oder solche empfehlen, die Autosuggestion, Autohypnose oder überschwängliche Gefühlszustände fördern. Und selbstverständlich steht auch die Benutzung von halluzinogenen Drogen wie LSD, Marihuana usw. in krassem Gegensatz zu dieser Geistesschulung, welche die Besonnenheit und Bewußtseinsklarheit steigern will.

Man erwarte von dieser Übung keine «mystischen Erfahrungen». Man stelle sich überhaupt nicht zu sehr auf «Erwartungen» oder schnelle Resultate ein, sondern nehme diese Übungen zunächst als Selbstzweck, d.h. als Förderungsmittel der Achtsamkeit und geistiger Sammlung. Was sie darüber hinaus zu geben haben, werden sie selber dem Übenden zeigen.

Eine Übungsperiode in der erwähnten Meditationsstätte dauert gewöhnlich 6 bis 10 Wochen, je nach dem Fortschritt des Meditierenden. Während dieser Zeit soll man sich nicht mit Lesen oder Schreiben beschäftigen und Gespräche auf das notwendige Mindestmaß einschränken. Die Teilnehmer nehmen acht der zehn Novizenregeln auf sich, wobei z.B. nach 12 Uhr mittags feste Nahrung und nahrhafte Getränke wie Milch, Kakao usw. bis zum nächsten Morgen ausgeschlossen sind. Auch für eine allein während des Alltagslebens unternommene Halb- oder Ganztagsübung ist dies ratsam, schon allein, um Ablenkung durch die Mahlzeiten auf ein Mindestmaß zu beschränken.

 

1. Sitzweise

Die europäische Sitzweise auf einem Stuhl ist nicht gerade günstig für solche, die zunehmend längere Zeit meditieren wollen. Das Herunterhängen der Beine ohne Stellungswechsel verursacht deren «Einschlafen». Doch selbst bevor sich das einstellt, mag man allzu leicht den Drang verspüren, Lageveränderungen der Beine oder des Körpers vorzunehmen, selbst wenn sie nicht nötig sind. Oder man mag versucht sein, allzu steif mit angespannten Muskeln zu sitzen, um das Zusammensinken des Körpers zu vermeiden. Beim indischen Meditationssitz auf dem Boden mit verschränkten oder anliegenden Beinen ruht jedoch der Körper auf einer breiten, sicheren Grundlage und bildet ein Dreieck mit dem Kopf als Spitze. Bei diesem Sitz ist auch eine Veränderung der Körperlage (das «Umherrutschen») nicht so leicht, und es besteht weniger Bedürfnis dafür.

Die Sitzweise mit voll verschränkten Beinen, der Lotussitz (padmāsana), wie man ihn bei Buddhastatuen sieht, ist freilich für die meisten Europäer schwierig und schmerzhaft und kann, ohne Training darin, nur für kurze Zeit beibehalten werden. Obwohl dieser Lotussitz für die Erreichung des stärksten Konzentrationsgrades in den meditativen Vertiefungen (jhāna) vorteilhaft ist, so ist er für die Klarblicksmeditation (vipassanā) und die Satipatthāna-Übung weniger wichtig. Für diese seien daher zwei leichtere Sitzweisen empfohlen: entweder der «Heldensitz» (vīrāsana), wobei lediglich das rechte Bein auf dem linken aufliegt (ohne Verschränkung der Beine); oder der «bequeme Sitz» (sukhāsana). Hierbei liegen beide Beine flach auf dem Boden; die Ferse des linken Fußes liegt zwischen den Beinen, und die Zehen in der rechten Kniekehle, wobei das rechte Bein gleichsam den Rahmen für den linken Fuß und Unterschenkel bildet. Diese Sitzart kann für beträchtlich längere Zeit als der Kreuzsitz beibehalten werden, da die Gliedmaßen nicht aufeinander drücken. Für beide Sitzarten ist es allerdings wichtig, daß die Knie fest auf dem Boden oder dem Sitzkissen aufliegen. Bis man dies kann, mag man die Knie mit einer gefalteten Decke oder einer anderen Unterlage stützen, was vorzeitige Ermüdung verhindert, oder verringern wird. Das Sitzkissen soll genügend breit und nicht zu weich sein. Beim Lotussitz oder Heldensitz möge man auch eine gefaltete Decke oder eine andere Unterlage unter das Gesäß legen, so daß es gleiche Höhe mit den Beinen hat.

Wenn aber alle diese Sitzarten zu schwierig sind, möge man einen Stuhl mit gerader Sitzfläche und gerader Rückenlehne benutzen. In jedem Falle wähle man eine Sitzweise, die eine gerade Körperhaltung ermöglicht und die man möglichst lange unverändert beibehalten kann. Für jüngere Menschen oder solche mit gelenkigen Gliedmaßen ist es aber empfehlenswert, eine dieser zwei Sitzweisen oder den Lotussitz zu besonders dafür angesetzten Zeiten einzuüben. Dabei mögen sie entweder allgemeine Achtsamkeit üben oder sich mit kontemplativem Nachdenken beschäftigen, ohne bei dieser Sitzübung auf stärkere Konzentration abzuzielen. Dies mag in der jeweilig bequemsten Sitzhaltung erstrebt werden.

Bei jeder Sitzhaltung ist es wichtig, daß sich der ganze Oberkörper in einer natürlich geraden Haltung befindet, jedoch nicht künstlich gestrafft, sondern ungezwungen und entspannt. Man mag den Rücken anlehnen, an die Wand oder die Stuhllehne. Die Kleidung soll lose sein und der Hals frei. Die rechte Handfläche ruhe im Schoß auf der linken. Den Kopf halte man leicht gesenkt, und der Blick möge ungezwungen (nicht starr fixierend) in einer solchen Entfernung auf den Boden fallen, wie sie sich durch die Kopfhaltung natürlicherweise ergibt. Die Augen mögen halb geschlossen sein, wenn dies nicht dazu führt, sie ganz zu schließen und schläfrig zu werden. Vor Beginn der Übung prüfe man, ob die Muskeln nicht unnötig gespannt sind, z.B. an Schultern, Hals, Gesicht (Mund) oder den Händen und Fingern.

 

2. Die geistige Einstellung

Das Ziel dieser Übung ist das höchste, das die Lehre des Buddha bietet, und die Übung soll daher mit der diesem hohen Ziel angemessenen inneren Haltung und mit rechtem Ernst aufgenommen werden. Der Buddhist möge sie mit der dreifachen Zuflucht zum Erleuchteten, seiner Lehre und der Mönchsgemeinde beginnen und sich dabei Sinn und Bedeutung dieses Aktes gegenwärtig halten. Er möge daran denken:

«Ich betrete nun den gleichen Pfad, den der Erwachte und seine heiligen Jünger gegangen sind. Mit Ehrfurcht und Eifer muß ich diesem Pfade folgen. Ein Nachlässiger und Träger kann ihn nicht begehen. Mögen Kraft und Ausdauer mich stets begleiten! Möge, was ich gewinne, zum Segen sein für mich und alle Wesen!»

Auch für einen Nichtbuddhisten, der, ohne sich das buddhistische Ziel der Leidbefreiung zu setzen, nach Läuterung, Vertiefung und gründlicher Schulung des Geistes strebt - auch für ihn wird es hilfreich sein, wenn er sich diesem Übungswege mit dem gebührenden Respekt nähert und die Übung mit ernstem Streben beginnt.

 

3. Das Übungsprogramm

Die drei Objektgruppen. Die Klarblickssmeditation mittels der Satipatthāna-Methode bedient sich dreier Gruppen von Übungsobjekten, von denen jede Gruppe in ihrer Art zum erstrebten Endergebnis beiträgt.

1. Grundlegend ist ein gleich bleibendes und stets zu pflegendes Hauptobjekt aus dem Gebiete der «Körperbetrachtung». Für die methodische Entfaltung der Achtsamkeit und der Klarblickserkenntnis sind solche Körpervorgänge am besten geeignet, die sich unterbrechungslos und ohne unser willentliches Zutun vollziehen, doch der Beobachtung zugänglich sind. Hiervon kommen nur zwei für diese Zwecke in Frage: die Atmung und die durch diese hervorgerufene Bauchdeckenbewegung. Von dem vorerwähnten burmesischen Meditationsmeister, dem Ehrw. U Narada, und seinen ersten Schülern wurde die Atmungsachtsamkeit benutzt, von der das nächste Kapitel handeln wird. Die Achtsamkeit auf das Heben und Senken der Bauchdecke wurde vom Ehrw. Mahasi Sayado als Hauptobjekt eingeführt und wird in vielen Meditationsstätten Burmas und anderer Länder mit Erfolg benutzt. Diese Bauchdeckenbewegung dient als Berührungs- oder Körperempfindungs-Objekt (photthabbārammana) und wird durch das Körperbewußtsein (kāya-viññāna) wahrgenommen. Sie ist nicht als Sehobjekt zu benutzen, d.h. die Bewegung soll nicht mit dem Auge beobachtet werden; es handelt sich hier also keineswegs um «Nabelbeschauung». Ebenso wenig hat diese Übung etwas zu tun mit den Körperzentren (Chakra) des tantrischen Yoga. Was hier geschieht und beabsichtigt wird, ist vielmehr etwas ganz Unmystisches: nämlich daß dieser Körpervorgang durch die Unterschiedlichkeit der Druckempfindung deutlich wahrnehmbar und durch Achtsamkeit darauf regelmäßig verfolgbar wird. Und eben als ein solcher konstanter und rhythmischer Bewegungsvorgang ist er für die Einsicht in die Vergänglichkeit und die Entfaltung des Klarblicks besonders förderlich. Obwohl die Bauchdeckenbewegung in den Lehrreden des Buddha nicht als Meditationsobjekt genannt ist, darf man doch einem bedeutenden zeitgenössischen Mönche Ceylons darin zustimmen, wenn er sagte, daß jeder körperliche und geistige Vorgang ein legitimer Gegenstand für die Klarblicksmeditation sein kann. Während sich der Atem im Laufe der Meditation verfeinert und manchmal kaum merkbar ist, behält die Bauchdeckenbewegung einen gröberen Charakter und ist gewöhnlich (wenn auch nicht für alle Konstitutionen) leichter wahrnehmbar. Doch auch die Atmung hat als ein Achtsamkeitsobjekt ihre besonderen Vorzüge, und der Meditierende mag daher, nach kurzen Versuchen mit beiden, seine Wahl selber treffen.

2. Sekundäre Objekte während der Übung sind: a) das Gewahrsein der Körperhaltung (Sitzen) und einer Auswahl lokalisierter Druckempfindungen, die sich beim Sitzen ergeben. - b) Ferner dienen als sekundäre Objekte die anderen Körperhaltungen (Gehen, Stehen, Liegen) bei ihrem jeweiligen Vorkommen während des Übungstages.

3. Allgemeine Achtsamkeitsobjekte sind andere Körpertätigkeiten und Wahrnehmungen als die vorerwähnten sowie Gefühle, Gedanken, Stimmungen usw., die auftreten mögen a) während der Übungszeit, bei zeitweiliger Unterbrechung der Hauptmeditationen (durch Ablenkung oder bei Routineverrichtungen während des Übungstages), b) außerhalb der Übungszeit, im normalen Alltagsverlauf. - Die Objektauswahl, der Stärkegrad und die Zeitdauer solcher allgemeinen Achtsamkeit wird von der betreffenden Situation und der individuellen Befähigung abhängen.

Während eines strikten Meditationskurses ist die Übungszeit der ganze Tag, vom Aufwachen bis zum Einschlafen. Das bedeutet natürlich nicht, daß man sich während dieser ganzen Zeit nur einem einzigen Meditationsobjekt, d.h. einem der Hauptobjekte, widmen soll: auch die beiden anderen erwähnten Objektgruppen sind ein wichtiger Bestandteil des Übungstages und werden, besonders beim Anfänger, einen großen Teil desselben ausfüllen.

Beim Aufwachen richte man das Reine Beobachten sofort auf das, was zu allererst empfunden wird (obwohl es gewöhnlich gar nicht oder nicht voll bewußt ist), nämlich die durch das Liegen auf dem Bett hervorgerufene leichte Druckempfindung, sowie auf die liegende Körperhaltung. Damit hat man bereits mit der «sekundären Objektgruppe» oder der Übung mit den Körperhaltungen (siehe Lehrrede 1.,b Seite *) begonnen. Man registriere also für eine kurze Weile «Fühlen» (im Sinne einer körperlichen Druckempfindung) und «Liegen». Darauf springe man nicht etwa hastig aus dem Bett, sondern stelle zunächst die Absicht des Aufstehens fest (geistiges Bewußtsein) und dann die Phasen der Ausführung: Heben und Aufsetzen des einen Beines, dann des anderen («Beugen und Strecken»; Lehrrede 1.,c Seite *); die nun eingenommene Sitzhaltung («Sitzen»), das Aufstehen («Stehen») und die ersten Schritte («Gehen»); all dies mit Achten auf die vorhergegangene Absicht. Auch die Verrichtungen des Ankleidens, Waschens, Frühstückens usw. begleite man mit Achtsamkeit. Auch für die Gefühlsbetrachtung (Lehrrede 2., Seite *) wird sich beim Aufstehen Gelegenheit bieten: wenn man z.B. an einem schönen Morgen sich körperlich frisch und wohl fühlt, so wisse man: es ist ein angenehmes körperliches Gefühl; wenn man sich unbehaglich oder unwohl fühlt, so wisse man: es ist unangenehmes körperliches Gefühl.

Das Achten auf kleinste Teilvorgänge bei den genannten Verrichtungen würde freilich eine beträchtliche Verlangsamung dieser Routinetätigkeiten mit sich bringen. Man möge daher alle diese Alltagsverrichtungen nur in großen Zügen verfolgen, doch achtsam und kontinuierlich und ohne ablenkenden Gedanken Raum zu geben. Es wird aber förderlich sein, wenn man hin und wieder eine geeignete Körpertätigkeit herausgreift und sie in ihren einzelnen Phasen bewußt beobachtet und ausführt.

Die Absicht bei all dieser «Kleinarbeit» ist zunächst, eine Anzahl geschlossener Tätigkeitsreihen lückenlos zu verfolgen und damit das Achtsamkeits- und Bewußtheitsniveau während des Übungstages zu erhöhen. Darüber hinaus werden diese Beobachtungen die Kenntnis von der Ablaufsart der betreffenden körperlichen und geistigen Vorgänge fördern; und es mag recht wohl geschehen, daß hierbei für den Fortschritt entscheidende Klarblickseinsichten ausgelöst werden, z.B. in die Vergänglichkeit und Unpersönlichkeit der Vorgänge.

Wenn man die Routineverrichtungen des Morgens beendet hat, begebe man sich zum gewählten Meditationssitz, dabei der Absicht und des Gehvorgangs bewußt. Man setze sich achtsam hin mit der Feststellung «Sitzen», «Fühlen» (Druckempfindung). Darauf richte man die Achtsamkeit auf das Heben und Senken der Bauchdecke. Das Objekt hierbei ist lediglich das Auf und Ab dieser spontanen Körperbewegung; der sie erzeugende Atem bleibt dabei unberücksichtigt. Es ist ein Berührungsobjekt (photthabbārammana), wahrgenommen vom Körperbewußtsein (kāya-viññāna), und es soll (wie früher bemerkt) nicht als ein Sehobjekt benutzt werden. Dieses Heben und Senken des Unterleibs ist ein natürlicher und stets vorhandener Vorgang: es bedarf also keiner Absicht oder Willensanstrengung, um ihn hervorzurufen. Je ruhiger und gelassener die Achtsamkeit auf diesem rhythmischen Bewegungsvorgang ruht und mit ihm mitgeht, um so leichter wird es sein, dieses Reine Beobachten für zunehmend längere Zeit fortzusetzen.

Es kann vorkommen, daß die Bauchdeckenbewegung entweder nicht sofort oder nur undeutlich und mit Unterbrechungen bemerkbar wird. Dies ist nichts Ungewöhnliches und wird sich im Laufe der Übung bessern. Als Hilfe kann man sich hinlegen, und in dieser Lage wird die Bauchdeckenbewegung beträchtlich deutlicher sein und es für längere Zeit bleiben. Man kann auch die Handfläche leicht auflegen und die Bewegung für eine Weile in dieser Weise feststellen. Es wird dann leichter sein, sie zu verfolgen, auch wenn man die Hand wieder entfernt. Wenn man Schläfrigkeit und Schlaffheit fernhalten kann, mag man die Übung so lange im Liegen fortsetzen, bis die Bewegung auch im Sitzen deutlich wird.

Wenn aber trotzdem die Bauchdeckenbewegung zeitweise undeutlich bleibt, so soll man nicht versuchen, sie durch äußere Mittel wie schnelleres oder tieferes Atmen «einzufangen»; dies würde nur zu körperlicher und geistiger Unruhe führen. Man breche auch nicht die Übung ungeduldig ab; auch dann nicht, wenn sich irgendwelche kleine Störungen einstellen. Man bleibe vielmehr ruhig sitzen und richte die Aufmerksamkeit auf die Sitzstellung und die leichten Druckempfindungen, die durch, die Berührung des Körpers mit Sitz und Lehne hervorgerufen werden. Man beginne mit der Vergegenwärtigung und Feststellung der sitzenden Haltung als «Sitzen»; dann wähle man sechs oder acht Druckstellen am Körper aus, beginnend mit der einen Schulter und in einer Kreisbewegung bis zur anderen, und registriere die jeweilige Druckempfindung als «Fühlen, Fühlen...». Dann beginne man wieder mit «Sitzen», gefolgt von «Fühlen, Fühlen», und so fort. Diese Worte und andere, welche die Beobachtungen während des Übungstages registrieren, sollen nur innerlich gesprochen werden. Sobald man dieses Hilfsmittel der sprachlichen Formulierung entbehren kann, soll man es fortlassen und die reine, wortlose Beobachtung der Vorgänge selber vollziehen. Wenn während der Übung mit diesen sekundären Objekten des «Sitzens» und «Fühlens» der Geist ruhiger oder das Hauptobjekt deutlicher geworden ist, so kehre man zum Achten auf das Heben und Senken der Bauchdecke zurück und setze diese Übung fort, so lange man es vermag.

Zunächst wird man vielleicht diese Doppelbewegung des Hebens und Senkens als zwei kurze, undifferenzierte Achtsamkeitspunkte wahrnehmen. Doch bald wird man merken, daß sie einen «Zeitraum» einnehmen, und man soll dann Beginn, Mitte und Ende der Ablaufsdauer jedes einzelnen Hebens und Senkens mit gleichmäßig klarer Achtsamkeit erfassen. Dem entspricht bei der Atmungsachtsamkeit das «Empfinden des ganzen (Atem-)Körpers» (s. Lehrrede 1.,a Seite * und nächstes Kapitel). Durch solche Achtsamkeit auf die volle Ablaufsdauer eines einzelnen Vorgangs, wobei dessen Beginn und Ende sich stärker abheben, wird das regelmäßige Entstehen und Vergehen (Schwinden) dieser Vorgänge zunehmend deutlicher und eindrucksvoller werden. Früher oder später wird man dann auch einen zweiten doppelten Ablaufrhythmus wahrnehmen, den von körperlichen und geistigen Vorgängen (nāma-rūpa); nämlich die körperliche Druckempfindung des Hebens und Senkens, sowie den geistigen Akt der darauf gerichteten Achtsamkeit, der ein steter Begleiter sein soll. Fortgesetzte klare Erfassung dieses zweifachen Doppelrhythmus (Entstehen und Schwinden, Körper und Geist) wird schließlich zur «Klarblickserkenntnis des Entstehens und Schwindens» (udayabbaya-ñāna) führen.

Die Erfassung des gesamten Bewegungsvorgangs (Anfang, Mitte und Ende) mag auch eines Tages das Ergebnis zeitigen, daß die Endphase des einzelnen Hebens und Senkens ganz spontan ein Übergewicht erhält. Das Erlebnis des «Sterbens» jedes Einzelvorgangs wird dann ein so starker Eindruck sein, daß die anderen Ablaufphasen (Anfang und Mitte) dagegen verblassen. Dies mag eine Vorwegnahme, Ankündigung oder Erreichung der zweiten Klarblickserkenntnis sein, nämlich derjenigen der «Auflösung» der Daseinsvorgänge (bhanga-ñāna). Ob es schon die ausgereifte Erkenntnis selber ist, wird man aus der Stärke und Nachhaltigkeit dieses Erlebnisses merken, sowie daraus, daß dann der meditative Fortschritt spontan an Intensität gewinnt. Doch auch als bloße Annäherung daran wird diese Erfahrung mit der Endphase sehr förderlich sein.

An diesem Punkt wird es ratsam sein, daß der ohne einen Lehrer Übende sich mit der Reihe der Klarblickserkenntnisse, wie sie in der buddhistischen Meditationstradition überliefert sind, auch theoretisch vertraut macht. Information darüber gibt der «Visuddhi-Magga» («Der Weg zur Reinheit») des Ehrw. Buddhaghosa, im 21. Teil des Werkes. Wer englisch kann, mag auch die Schrift des Ehrw. Mahasi Sayado «The Progress of Insight» konsultieren.

In persönlicher Unterweisung wird der Meditationsmeister von den oben kurz behandelten zwei Klarblickserkenntnissen erst dann sprechen, wenn der Meditierende sich ihnen nähert oder sie erreicht hat. Doch für solche, die ohne einen Lehrer üben, hielten wir es für angebracht, sie durch diese kurzen Bemerkungen auf die ersten Fortschrittsstadien vorzubereiten. Der allein Übende möge sich jedoch davor hüten, diese Ergebnisse intellektuell vorwegzunehmen oder sie sich wunschhaft zu suggerieren.

Wenn nach längerem Üben die Beine steif geworden sind, so richte man das Reine Beobachten auf die Schmerzempfindung an der betreffenden Körperstelle und gehe über die bloße Feststellung «Schmerzgefühl» nicht hinaus, d.h. man überlasse sich keinerlei Gedanken oder Stimmungen darüber. Man setze dies fort, so lange der Schmerz oder das Unbehagen stark genug ist, um von der Meditation abzulenken. Während dieses wiederholten Reinen Beobachtens mag es häufig geschehen, daß die Schmerzgefühle schwächer werden oder schwinden und man wieder zum Hauptobjekt zurückkehren kann. Denn eine Schmerzempfindung mag beträchtlich verstärkt werden durch das, was die geistige Einstellung dem körperlichen Anlaß hinzufügt, nämlich Ichbezug, Selbstbemitleidung, Reizbarkeit, Ärger, Furcht usw. All dies wird durch das Reine Beobachten vermieden. Mit dieser Gefühlsbetrachtung (Lehrrede 2. Seite *) bleibt man innerhalb der Übung; denn, abgesehen von der resultierenden Stärkung der Achtsamkeit, kann man auch beim Ansteigen und Abklingen eines Schmerzgefühls ähnliche Beobachtungen machen wie bei den Bewegungsvorgängen der Hauptobjekte. So kann eine Meditationsstörung in ein Meditationsthema und Erkenntnisobjekt verwandelt werden.

Wenn aber die Schmerzempfindung nicht nachläßt und eine Änderung der Körperhaltung wünschenswert wird, so stehe man achtsam auf und tue das zur Behebung des Unbehagens Notwendige: Strecken oder Massieren der Glieder, Auf- und Abgehen oder Hinlegen - all dies mit Achtsamkeit auf Absicht und Ausführung. Auch wenn während der Übung die körperliche oder geistige Energie nachläßt oder sich Müdigkeit einstellt, empfiehlt sich Wechsel der Körperhaltung, insbesondere das Auf- und Abgehen.

Das achtsame Auf- und Abgehen ist aber nicht nur ein Hilfsmittel, sondern auch eine sehr förderliche selbständige Übung, die zur sekundären Objektgruppe gehört. Zum Strecken steif gewordener Glieder, sowie bei Anlässen für schnelleres Gehen oder bei einer längeren Wegstrecke genügt es, wenn man auf den einzelnen Schritt mit der Feststellung «links, rechts» achtet. Die meditative Gehübung jedoch erfordert ein verlangsamtes Gehen mit der Feststellung von zumindest zwei Phasen des einzelnen Schrittes: 1. Heben des Fußes, 2. Aufsetzen. Dem füge man später als Zwischenphase hinzu das Vorwärtstragen des Fußes zum neuen Standort; oder man beginne gleich mit den drei Phasen. In kurzen Begleitworten (später fortzulassen) mag man dies wie folgt formulieren:

A. 1. Heben, 2. Setzen;

B. 1. Heben, 2. Tragen, 3. Setzen.

Die drei Phasen sind vorzuziehen, da sie eine geschlossene Achtsamkeitsfolge während des einzelnen Schrittes erleichtern, während zwischen A. 1. und A. 2. leicht eine Achtsamkeitslücke entstehen kann. Beim Umkehren achte man auf die stehende Haltung und die Beinbewegung. Widmet man dem Gehen eine längere Zeit, so ist eine nicht allzu kurze Gehstrecke vorzuziehen (z.B. ein Korridor oder zwei angrenzende Zimmer), um die Unterbrechung durch das Umwenden zu reduzieren.

Obwohl man im allgemeinen eine bessere Konzentration im Sitzen erzielen wird, so kann doch auch das Auf- und Abgehen eine wertvolle Quelle von Klarblickserkenntnissen sein. Man möge daher der Gehübung einen beträchtlichen Teil des Übungstages widmen und mit dem Sitzen regelmäßig abwechseln. Zu Beginn wird man geneigt sein, häufiger zu wechseln, doch mit wachsender Achtsamkeit und Konzentration wird man für zunehmend längere Zeit sitzen oder gehen können, und auch das Bedürfnis für Ruhepausen wird sich verringern.

Während des gesamten Übungstages achte man auf das Auftreten abschweifender Gedanken, auf das Aussetzen der Achtsamkeit bei Einheiten oder einzelnen Phasen des Hauptobjekts, des Gehens und anderer Tätigkeiten. Man achte darauf, ob man die Achtsamkeitslücken sofort bemerkt hat oder ob, und für wie lange, man «abgetrieben», wurde. Nach Feststellung dieser Unterbrechungen kehre man sofort zum Übungsobjekt zurück. Man vermeide oder konstatiere vorwegnehmende Gedanken (z.B. die Übung betreffend) und Zukunftsfantasien, die, ebenso wie Gedanken über die Vergangenheit, eine häufige Form der Abschweifung sind. Die Achtsamkeitsübung richtet sich lediglich auf die Gegenwart.

Die Häufigkeit und Dauer abschweifender Gedanken wird sich im Verlauf der Übung verringern, und dies kann als ein Maßstab des Fortschritts dienen. Diese wachsende Reaktionsgeschwindigkeit der Achtsamkeit wird auch eine große Hilfe sein für die Selbstbeherrschung und Sinnenzügelung und besonders für die Unterbindung von unheilsamen und abwegigen Gedanken sofort nach ihrem Auftreten. Die Wichtigkeit hiervon für das Alltagsleben sowie für den Fortschritt auf dem Heilspfade der Buddhalehre ist offensichtlich.

Von äußeren und inneren Störungen lasse man sich weder irritieren noch entmutigen, sondern «entwaffne» sie, indem man diese Ablenkungen selber als zeitweilige Achtsamskeitsobjekte nimmt. Denn sie alle können einen Platz finden in den vier Gebieten der Achtsamkeit, von denen die Lehrrede handelt. Hierüber wird noch mehr im IX. Kapitel über «Die Wirkungskraft des Reinen Beobachtens» gesagt werden, besonders im Abschnitt über «Die gewaltlose Methode».

Wenn man nicht mit dem Hauptobjekt oder den sekundären Objekten beschäftigt ist, wähle man während des Tagesverlaufs eine Tätigkeitsfolge oder einen Wahrnehmungsvorgang (z.B. Sehen oder Hören) mit den sich daran anknüpfenden Gedanken, Gefühlen und Handlungen und beobachte sie genau in ihren einzelnen Phasen. Dies wird mannigfachen Nutzen haben: als eine «Geläufigkeitsübung» in der Anwendung des Reinen Beobachtens, als Ausdehnung der Reichweite der Achtsamkeit und als Anregung und Quelle der Wirklichkeitserkenntnis.

Bei sich schärfender Achtsamkeit möge man auch auf die feinsten Stimmungen und Gedanken der Befriedigung oder Unbefriedigung achten, wenn sie, z.B. mit Bezug auf den Übungsverlauf, auftreten. Sie können die Keime sein für stärkere Formen von Lust und Unlust, Zuneigung und Abneigung, Stolz und Kleinmut. Man soll sich daher mit ihnen vertraut machen, sie feststellen und entlassen und sie so am Anwachsen hindern.

Doch ein Vorbehalt soll hier gemacht werden für Umstände, in denen man ein aufsteigendes Gefühl der Befriedigung mit dem Übungsverlauf milder betrachten und behandeln mag. Bei erfolgreicher Übung kann es geschehen, daß sich, hervorgerufen durch die Klarblickserfahrungen, starke Ergriffenheit einstellt, ernste (samvega) oder freudige (pīti). Oder der Meditierende wird gleichsam überflutet von einer schnellen Folge von Gedanken und Gefühlen, durch die sich ihm gewisse Lehren oder Aussprüche des Buddha oder auch allgemeine Einsichten in das Leben blitzartig erhellen und sie wie ganz neue Erfahrungen aufleuchten lassen. Dies werden Erlebnisse starker innerer Befriedigung sein, die vorübergehend die Ruhe und das Gleichmaß der Achtsamkeitsübung unterbrechen werden. In solchen Momenten wird es der allein Übende selber zu entscheiden haben, wie viel Raum er solch starken Gedanken- und Gefühlswellen erlauben soll. Sie sollen gewiß nicht leichthin unterdrückt werden, denn die dabei erlebte «freudige Ergriffenheit» (pīti) mag unter Umständen und bei rechtem Vorgehen recht wohl das Tor zu den meditativen Vertiefungen (jhāna) öffnen, zu deren geistigen Komponenten sie gehört. Die «ernste Ergriffenheit» (samvega) wiederum mag dem Übungsfortschritt und der Charakterentwicklung einen starken Ansporn geben. Doch um solche Ergriffenheit auswerten zu können, darf man ihr gegenüber die Besonnenheit nicht verlieren, und wenn man merkt, daß sie in einen bloßen Gefühlsüberschwang mündet, breche man die Übung zeitweilig ab. Man behalte im Auge, daß es sich hier nur um Nebenerscheinungen oder bestenfalls Erfolgssymptome der Übung handelt, die nicht zu ihrem eigentlichen Bereich und ihrer Zielsetzung gehören. Sobald sich daher diese Gedanken- und Gefühlswellen beschwichtigt haben, kehre man wieder zu den Hauptübungen zurück, um mit ihrer Hilfe weiteren und höheren Ergebnissen des erlösenden Klarblicks nachzustreben.

Im Übungsverlauf mögen aber auch andere Erfahrungen auftreten, denen gegenüber weit größere Vorsicht und Zurückhaltung angebracht ist. Bei stärkerer Konzentration (und bei manchen Personen schon früher) stellen sich manchmal innere Lichtwahrnehmungen ein, sei es von geringerer oder größerer Intensität, wie sie von Meditierenden verschiedener Religionen erlebt und beschrieben wurden. Auch die Bilderwelt des Unterbewußten mag durch stärkere Konzentration angeregt werden, und einfache oder komplizierte Bildvorstellungen mögen ins Bewußtsein treten. Mystiker haben oft in solche Licht- und Bildwahrnehmungen ihre eigenen Glaubensvorstellungen projiziert. Der Jünger der Achtsamkeitsschulung aber begegne all dem, schon beim ersten Auftreten, mit einer kurzen, nüchternen Feststellung («Licht», «Ein-bildung») und wende sich sofort wieder seinem Übungsobjekt zu, ohne weiteren Gedanken oder Gefühlen über jene Eindrücke Raum zu geben. Wenn aber diese Eindrücke oder die Gedanken darüber andauern, so unterbreche man die Übung, bis jene Vorstellungen geschwunden sind oder sich die Gedanken beschwichtigt haben. Man wisse, daß es sich auch hierbei nur um psychologische Phänomene, um Nebenerscheinungen geistiger Konzentration handelt, die keineswegs bei allen Meditierenden auftreten. Man braucht also solche Licht- und Bildvorstellungen weder zu fürchten, noch soll man auf sie, als vermeintliche «mystische Erfahrungen», stolz sein. Im allgemeinen aber bietet die hier dargelegte Geistesschulung in Rechter Achtsamkeit wenig Nährboden für solche Phänomene.

Es wurde in diesem Kapitel bereits betont, daß man die Hauptübung zunächst nur um ihrer selbst willen vornehmen soll, d.h. als Stärkung von Achtsamkeit und Sammlung. Man mache sich zuerst völlig vertraut mit den bei den Übungen auftretenden körperlichen und geistigen Vorgängen und erstrebe oder erwarte keine «schnellen Resultate», es seien denn die eines Wachstums an Achtsamkeit und innerer Ruhe. Die weiterreichenden Resultate werden sich als natürliche Entwicklung aus den Übungen ergeben. Versuche, sie durch intellektuelle Vorwegnahme zu beschleunigen, würden nur innere Unruhe bringen und den Übungsfortschritt beeinträchtigen.

Auch die «allgemeinen Achtsamkeitsübungen» haben zunächst den Zweck, das Gesamtniveau der Achtsamkeit während des ganzen Übungstages, sowie auch im Alltagsleben möglichst hoch zu halten, wodurch auch die Konzentration während der Hauptübung entscheidend gefördert werden kann. Doch auch in umgekehrter Richtung wird sich bald ein heilsamer Einfluß bemerkbar machen. Die bei den Hauptübungen erzielten Spitzenergebnisse in Konzentration, Achtsamkeit und Einsicht werden auch eine Stärkung eben dieser Eigenschaften innerhalb der allgemeinen Achtsamkeitsanwendung, sowie im tätigen Leben des Meditierenden bewirken. Es mag dann wohl geschehen, daß wichtige Beobachtungen oder Erkenntnisse zuerst mit allgemeinen Achtsamkeitsobjekten gemacht werden und so der Gesamtübung einen starken Ansporn geben. Diese wertvolle Wechselwirkung zwischen allgemeiner und Hauptübung macht es wünschenswert, daß man sich bemüht, Bedingungen für gelegentliche Ganztagsübungen von kürzerer oder längerer Dauer zu schaffen.

Vorbereitende Achtsamkeitsübung. - Doch wenn man ohne Lehrer und ohne vorherige Meditationserfahrung übt, empfiehlt es sich, vor solch strikter Ganztagsübung für einige Wochen die allgemeine Achtsamkeit im normalen Tagesverlauf zu pflegen. Dies ist auch ratsam, wenn man die Möglichkeit hat, unter der Leitung eines Meditationslehrers an einem strikten Übungskurs teilzunehmen. Durch solche frühere Vorbereitung wird man mit dem Einsatz gerichteter Achtsamkeit vertrauter werden und wird dabei den «Stimmungsgehalt» einer solchen Geisteshaltung schätzen lernen. Damit wird auch das Gefühl der Befangenheit und Unsicherheit fortfallen, mit dem sich häufig ein Anfänger erstmalig zur Meditation hinsetzt.

Man mag diese vorbereitende Achtsamkeitsübung mit ganz kurzer und gelegentlicher Aufmerksamkeit auf körperliche und geistige Tätigkeiten beginnen und dies mehrmals am Tage wiederholen: beim Einschlafen und Aufwachen, sowie während des Tagesverlaufs, so oft man daran denkt. Man achte insbesondere auf Stimmungen und Äußerungen von Ärger, Mißmut, Begehrlichkeit usw. Die in der Bewältigung solcher Aufwallungen erzielten Erfolge werden Zuversicht verleihen und dazu ermutigen, die methodische Übung aufzunehmen. Sonst richte man die Aufmerksamkeit auf alles, was sich an neuen Eindrücken bietet, und allmählich auch auf die Entstehens- und Vergehensmomente der beobachteten Vorgänge. Schließlich widme man dieser vorbereitenden Achtsamkeit kurze geschlossene Zeitspannen, etwa eine viertel oder halbe Stunde. Dabei möge man es auch mit einem der Haupt-Objekte versuchen (am besten dem Atem), ohne sich beirren zu lassen, wenn es dabei zu keiner guten Konzentration kommt. Hier ist die Absicht lediglich, eine anfängliche Vertrautheit mit gerichteter Achtsamkeit zu erwerben.

Wenn man nach solcher Vorbereitung die methodische Übung aufnehmen will, so widme man dem Hauptobjekt und den sekundären Objekten die stillste Zeit des Tages, etwa die frühen Morgenstunden oder, wenn nicht zu ermüdet, eine oder mehrere Nachtstunden. Mit kurzen Übungsperioden beginnend, steigere man sie allmählich auf mehrere Stunden, einen Halbtag, ein Wochenende und schließlich mehrere Ferientage oder -wochen. Besonders zu Beginn möge man andere Freizeitbeschäftigungen weitmöglichst zurückstellen und während strikter Übung Geselligkeit auf das unerläßliche Mindestmaß beschränken. Wenn auch dann geselliger Umgang und andere Störungen unvermeidbar sind, so lege man für die betreffende Zeit das Übungsobjekt bewußt ab und nehme es wieder auf, sobald man ungestört ist «gleichwie man ein Gepäckstück vom Boden aufhebt, das man zeitweilig abgestellt hat». (Kommentar zur Lehrrede).

Bei Beginn der methodischen Übung stelle man sich auf ernste und ausdauernde Anstrengung ein. Wenn man der ersten Müdigkeit oder Unlust nicht nachgibt, wird man häufig hinter ihr neue Reserven von Energie finden. Andererseits soll man gewiß nicht ins Extrem der Übermüdung gehen und soll sich Ruhe gönnen, wenn eine Fortsetzung der Übung der Ermüdung wegen keinen Erfolg verspricht. Auch während einer Ruhepause kann und soll ja die Achtsamkeitsübung fortgesetzt werden, obwohl mit anderem Objekt und in entspannter Haltung.

Das gewählte Hauptobjekt (Atem oder Bauchdeckenbewegung) und die sekundären Objekte (Gehübung, «Fühlen-Sitzen» usw.) werden während der gesamten Übungsdauer (seien es auch Jahre) beibehalten, ohne daß etwas Neues hinzugefügt wird. Das «Neue» ergibt sich aus den Übungserfahrungen selber: aus den sich entfaltenden Klarblickserkenntnissen; oder für den, der nicht auf diese hinzielt, aus einer neuen Einstellung zu sich selber und zum Leben.

Freilich mag unter den Wohn- und Lebensbedingungen einer westlichen Großstadt die Durchführung einer strikten Übungsperiode selbst mit Einschränkungen und Anpassungen schwierig oder unmöglich sein. Der burmesische Meditationsmeister, der ehrw. Mahasi, wurde daher gefragt, ob und wieweit ein Fortschritt zu erwarten ist, wenn man lediglich in kurzer täglicher Freizeit üben kann. Die Antwort war, daß auch einige seiner Schüler lediglich in der Freizeit ihres Berufslebens geübt und gute Ergebnisse erzielt hatten. Der Fortschritt sei dann natürlich langsamer und schwieriger und sei natürlich auch von der Fähigkeit und Ausdauer des Einzelnen abhängig.

Bei solch reduzierter Übungsmöglichkeit und auch bei einer Fortsetzung der Übung nach einer strikten Meditationsperiode ist das hier beschriebene Übungsprogramm den gegebenen Umständen anzupassen.

  1. Die Stelle der allgemeinen Achtsamkeitsübung wird dann eingenommen von einem möglichst hohen Niveau von Achtsamkeit und Besonnenheit während des ganzen Tages, angepaßt an die Erfordernisse des Berufs- und Privatlebens. Auch während der Berufstätigkeit wird man gelegentlich für einige Sekunden oder Minuten die Achtsamkeit auf die Körperhaltung, den Atem oder anderes lenken können. Übungen, die eine Funktionsverlangsamung verursachen, wie das achtsame Auf- und Abgehen, wird man freilich auf die Freizeit beschränken müssen und auch dann auf Zeiten, wenn man ungestört und unbeobachtet ist. Man vermeide es grundsätzlich, durch eine Veränderung in seinem Benehmen die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu lenken. -
  2. Dem Hauptobjekt und den sekundären Objekten widme man jede verfügbare und ungestörte Freizeit, morgens und abends. Regelmäßigkeit, sei es auch bei kurzen Übungszeiten, ist hier besonders wichtig.